Wie Phönix aus der Asche
Die Restaurierung des Tobsdorfer Chorgestühls
Es ist ein wertvoller Kunstfund, der sich den Restaurator*innen aus Hildesheim 2006 vollkommen unscheinbar auf dem Dachboden einer Kirche im rumänischen Siebenbürgen präsentiert. Die Restaurator*innen, das sind Exkursionsteilnehmer*innen des Studiengangs Konservierung und Restaurierung der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Was auf den ersten Blick nach einem morbiden Bretterhaufen aussieht, entpuppt sich als ein einst prächtiges, zweiteiliges Chorgestühl aus der Zeit der Spätgotik - aufwändig gestaltete Sitze für Geistliche und Honoratioren. Die Sonderausstellung dokumentiert die spannende restauratorische Arbeit an dem Objekt, zu der auch die Frage gehört, wer es erbaut hat.
Das Kirchenmöbel aus dem Jahr 1537 steht gut fünf Jahrhunderte in der Wehrkirche der Gemeinde Tobsdorf/Dupus. Als die deutschsprachige Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen das Land nach der rumänischen Revolution 1989 verlässt, verfällt das Kirchengebäude zunehmend. 2002 wird das Chorgestühl abgebaut und auf dem Dachboden der etwa 80 Kilometer entfernten Kirchenburg Großau/Cristian eingelagert – in eine Art Zentral-Depot für gefährdetes Kulturgut aus anderen Kirchen.
Im Video: Die Restaurator*innen bei der Arbeit
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Zu jener Zeit reisen Restaurator*innen der Hildesheimer Hochschule jeden Sommer nach Siebenbürgen, um das reiche historische Erbe, dass das Land am Fuße der Karpaten birgt, zu ergründen, zu dokumentieren und zu erhalten. 2006 entdecken sie das Tobsdorfer Chorgestühl, genauer gesagt Einzelteile. Hölzer, die durch Feuchtigkeit und Insektenfraß bereits immens angegriffen waren. Stellenweise glich die Holzsubstanz nach Aussage der Restauratoren einem Schwamm, der bei bloßem Kontakt zerfiel.
Die Fachleute erkennen jedoch sofort das Potential des Fundes. Sie vereinbaren mit der Landeskirche die Restaurierung des Chorgestühls. Ihre umfangreiche Arbeit daran erstreckt sich über zehn Jahre.
Im Video: Die Rekonstruktion einer Blockintarsie
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Bei umfassenden Recherchen stellen sie fest, dass es in Siebenbürgen noch andere Chorgestühle dieser Art gibt. Eines davon weist die Signatur des Tischlermeisters Johannes Reychmut aus Schäßburg auf. Sollte das Tobsdorfer Chorgestühl auch aus der Werkstatt dieses Meisters stammen? Eine direkte Zuordnung ist zunächst nicht möglich. Erst die fundierte Untersuchung und der Vergleich der Gestaltungs- und Werktechniken der Chorgestühle - insbesondere der Intarsien – bringt ihnen die Gewissheit.
Die parallel laufende Sicherung und Restaurierung des strukturell stark angegriffenen Kirchenmöbels erforderten den Einsatz modernster Konservierungstechniken sowie die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachdisziplinen. Nachdem 70 Studierende, 23 Professorinnen und Professoren, Lehrbeauftragte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie externe Fachdisziplinen daran gearbeitet haben, ist das Chorgestühl 2018 nach Siebenbürgen zurückgebracht worden. Es ziert heute die Kirche im Ort Mediasch.
Mit der informativen Wanderausstellung ist es den Hildesheimern gelungen, dieses spannende Projekt sichtbar zu machen - und damit die restauratorische Arbeit an sich, die so oft hinter den Kulissen stattfindet, in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.
Seit fast zehn Jahren verbindet das Museum für Kunst und Kulturgeschichte und der Studiengang Konservierung und Restaurierung an der Hochschule für angewandte Kunst und Wissenschaft Hildesheim eine sehr fruchtbare Kooperation, die sich in verschiedensten Projekten niederschlägt und sehr erfolgreich zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Sammlungspflege und Erhaltung des Gottorfer Sammlungsbestands beiträgt.