„Gottorf war eine Insel des Wissens“
Die Künstlerin Anja Schindler bereichert bis zum 6. Oktober mit 20 Installationen den historischen Rundgang von Schloss Gottorf. Nach langer Vorarbeit hat sie ihre Kunstwerke im Dialog mit der Geschichte dieses Schlosses, seinen Sammlungen und seinem Garten entwickelt. Wir haben mit ihr über Wunderkammern, italienische Flohmärkte und die Farbe Cyanblau gesprochen.
Frau Schindler, betrachten wir Ihre Kunst - und auch Ihre aktuelle Ausstellung auf Schloss Gottorf – dann zieht sich die Farbe Blau, genauer gesagt Cyanblau, durch Ihr Werk. Warum haben Sie diese Farbe gewählt?
Wenn ich ein Objekt aus der Natur trockne, dann wird es meistens so beige-bräunlich, das sieht langweilig aus. Sie kennen so vertrocknete Sachen, die sind kurz vor dem Verfall. Indem ich diese Objekte dann mit dem Cyanblau überziehe, werden es Artefakte. Die Farbe ist und bleibt aber nur Oberfläche. Eigentlich geht es mir um das Verständnis von Natur, um das genaue Hinschauen, darum sich mit Objekten zu befassen, denen wir sonst vielleicht keine Aufmerksamkeit schenken würden. Damit zieht sich das Cyanblau quasi wie ein roter Faden durch meine Ausstellungen.
…und gibt den Besucher*innen Orientierung.
Richtig. Haben die Besucher*innen das erste Exponat in Cyanblau entdeckt, dann halten sie regelrecht Ausschau nach weiteren. Das ermöglicht es mir auch, unsere Gäste an bestimmte Orte im Schloss zu führen, die ich neu in den Fokus rücken möchte. Es geht mir also um das Zusammenspiel von meinen Exponaten mit der Dauerausstellung.
Apropos Dauerausstellung - Sie haben sich fast zwei Jahre mit Schloss Gottorf beschäftigt, um Ihre aktuelle Ausstellung hier künstlerisch zu entwickeln. Was macht Gottorf für Sie so reizvoll?
In der Zeit des 30-jährigen Krieges unterstand Friedrich III dem dänischen König und konnte sich daher nicht kriegerisch profilieren. Gemeinsam mit seinem Universalgelehrten Adam Olearius steckte er seine ganze Energie in die Kunst und Wissenschaft. Gemeinsam richteten sie die Bibliothek ein, legten den Barockgarten an und entwickelten den Gottorfer Globus - das erste Planetarium der Welt. Dadurch wurde Gottorf zu einer Insel des Wissens.
Sie beschäftigen sich ja schon seit vielen Jahren mit Wunderkammern und auch Kuriositätenkabinetten, die in der Renaissance und im bürgerlichen Umfeld des 17. und 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit hatten.
Das stimmt. Es fasziniert mich, dass man damals versucht hat, die ganze Welt in einem Raum zusammenzubringen, um auf diese Art die Welt als Ganzes zu begreifen. Ich habe den Eindruck, dass uns dieser Gesamtüberblick heute, trotz unserer aktuellen technischen Möglichkeiten immer wieder verloren geht.
Können Sie das näher erläutern?
Wir haben Errungenschaften, die unglaublich sind - der medizinische Fortschritt beispielsweise. Aber ein Facharzt beschäftigt sich nur mit seinem Spezialgebiet, zum Beispiel nur noch mit dem Herzen, sieht aber häufig nicht mehr den Menschen als Ganzes. Und ich glaube, dass wir abseits vom Detail auch wieder das große Ganze sehen und über den Tellerrand schauen sollten. Wir dürfen das Wissen, das die Menschen sich im Laufe der Jahrtausende angeeignet haben, nicht aus dem Blick verlieren.
Möchten Sie Ihre Artefakte vor diesem Hintergrund betrachtet wissen und wonach wählen Sie diese aus?
Ja, ganz genau – vor dem Hintergrund der Wunderkammern und Kuriositätenkabinette. Das Entdecken und Sammeln von Objekten ist auch Teil des künstlerischen Prozesses. Ich bin weltweit unterwegs und versuche außergewöhnliche Landschaften und Kulturen an den Originalschauplätzen aufzuspüren.
Sie sind aber auch gern auf italienischen Flohmärkten unterwegs…
Das stimmt, dort suche ich in erster Linie nach alten Handschriften, die ich zum Beispiel auch für meine Arbeit zum Gottorfer Codex benutzt habe.
Italien spielt für Sie aber auch grundsätzlich eine wichtige Rolle, oder?
Ich habe in Italien studiert und mich in das Land verliebt, weil ich gemerkt habe, dass man dort die Vergangenheit selbstverständlich am Leben erhält, dass man in alten Palazzi lebt, dass es nicht so wie in Deutschland ist, wo alles Historische gleich zum Museum erklärt wird. Man lebt mit seiner Geschichte. Das ist etwas, was mich fasziniert - was man dort noch für Handwerkstechniken ausgeübt hat zum Beispiel. 1990 bin ich dann ganz nach Italien gegangen. Dort habe ich viele unbekannte und außergewöhnliche Dinge gefunden und mir die Frage gestellt, wie man so etwas erhalten und konservieren kann. Die Natur dort ist einfach wunderschön.
Gerade mit Blick auf Ihre Funde in der Natur stellt sich ja auch die Frage der Konservierung…
Ja, darüber habe ich mit vielen Fachleuten gesprochen und dann damit begonnen, erste Objekte in Öl einzulegen. Meine Arbeit – der gesamte künstlerische Prozess – ist sehr komplex. In der ehemaligen Strickwarenfabrik an der Mosel, in der ich seit 2006 lebe und arbeite, habe ich ein Atelier und Werkstätten. Das Haus ist voll mit Objekten. Wenn ich ein Projekt wie das auf Schloss Gottorf beginne, ist es ein ganz langer Prozess, bis mir klar wird, worum es mir eigentlich geht. Das Finden, Bearbeiten und Zusammenstellen der Exponate, die Auswahl und das Aufarbeiten der Präsentationsmöbel - Schränke, Tische und Vitrinen - etc. ist wie ein Puzzle, bei dem erst am Ende alles stimmig zusammenpasst.