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  • Rainer Fetting in seinem Sylter Atelier, Dezember 2019

Berlin – New York – Westerland.

Er zählt zu den wichtigsten deutschen Künstlern der Gegenwart: Rainer Fetting. Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf zeigt ihm zu Ehren die große Sonderausstellung "Here are the lemons". In einem exklusiven Interview mit unserer Kuratorin Dr. Uta Kuhl gewährt er spannende Einblicke in sein Leben und seine Arbeit.

Herr Fetting, Sie haben uns für Ihre Retrospektive „Here are the lemons“ auf Schloss Gottorf großzügig Leihgaben bereitgestellt. Insgesamt sind in der Ausstellung 136 Werke – 60 Gemälde, 14 Bronzen sowie 62 Zeichnungen und druckgraphische Blätter – aus mehr als fünf Jahrzehnten zu sehen. Die ältesten Arbeiten sind die Federzeichnungen „Lee van Cleef“ von 1968. Sie haben also schon vor Ihrem Studium Kunst gemacht. Seit wann wussten Sie, dass Sie Künstler werden wollten?
Mein Vater war Lehrer, unterrichtete unter anderem Sport (Gymnastik) und Werkunterricht. Er spielte auch Klavier und andere Instrumente. So wuchs ich in einem sogenannten musischen Elternhaus auf. Musikalisch war ich nicht so begabt (Klavierspielen), jedoch entdeckte ich in einem Malstudio für Kinder, dass ein Kollege von meinem Vater, Werner Gronau, leitete, die Leidenschaft zu malen. Mit 11 Jahren war ein Bild von Wildpferden von mir in der Wilhelmshavener Zeitung abgebildet. Irgendwann in meiner Adoleszenz muss ich sicher angefangen haben, solche Gedanken mit mir herum zu tragen. Allerdings hatten meine Eltern mich erst einmal auf eine akademische Laufbahn eingegleist, die dann jedoch gescheitert ist. Zunächst ein schwerer Schock für mich.

1972 kamen Sie als junger Mann aus Ihrer Heimatstadt Wilhelmshaven nach Berlin, um an der damaligen Hochschule für Bildende Künste Malerei zu studieren. Berlin war damals eine geteilte Stadt – eine ganze Reihe Ihrer Arbeiten, Zeichnungen wie Gemälde, zeigen die Berliner Mauer. Manchmal versetzen Sie in Ihren Bildern die Mauer sogar in Gegenden, wo sie gar nicht stand. Wie fühlten Sie sich im Berlin der 70er Jahre?
Es ist lange her seitdem. Berlin war durch frühe Besuche mit meinen Eltern immer schon ein Projektionsort gewesen. Dort fand ich später meine ersten Bestätigungen nach der Aufnahme an die Kunsthochschule. In Wilhelmshaven war ich mit dem Abitur gescheitert, habe dann eine Tischlerlehre in Zetel/Ostfriesland absolviert, und bin dann vor dem Ruf zur Bundeswehr nach Westberlin geflohen. Westberlin war damals von der Mauer umgeben, und gehörte mitten in der DDR gelegen doch zu Westdeutschland.

Von der Mauer abgesehen, welche Freiheiten hielt Berlin für Sie bereit?
Diese nicht ganz reale Situation empfanden viele junge Leute, die aus dem miefigen und spießigen Nachkriegsdeutschland dorthin geflohen waren, sicher als eine exotische Situation. In Berlin schien es die Zwänge nicht zu geben, die ich persönlich von den Jahren am Gymnasium, aber auch vom Elternhaus kannte, obgleich meine Eltern meiner Meinung nach ziemlich unkonventionell waren und dem Normbild nicht entsprachen.

An der Hochschule der Künste gab es zum Teil ganz andere Lehrertypen (Professoren und Tutoren), alles war wilder und ungezwungener, zumal sich der Aufbruch der Studentenrevolte und die Liberalisierungen in der Homosexuellenszene schwerpunktmäßig in Berlin abspielten. In Wilhelmshaven hatte ich bereits früh entdeckt, dass ich auch homosexuell veranlagt war, stand aber eher allein da. In Berlin begann ich mich langsam aus dem Kreis der Wilhelmshavener zu lösen, die sich aus verschiedenen Wohngemeinschaften regelmäßig zu Partys trafen. Schwule Freunde lernte ich im SchwuZ oder in der damaligen HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) in der Dennewitzstraße kennen. Durch die dann offizielle Paarbeziehung mit Salomé hatte ich schließlich ein erlösendes Coming-out, obgleich ich mein Schwulsein vorher nicht unbedingt verschwiegen hatte.

Die Stadt war zerbombt und befand sich wie unter Kohlestaub mit klaffenden Stadtlücken und ohne wirkliches Betriebspersonal in einer Art Ausnahmesituation, in der man sich wie auf einem Abenteuerspielplatz fühlen konnte.

Es gab verrückte Kneipen wie die Meisengeige oder das Cafe Kaputt in einem alleinstehenden Geisterhaus am Kottbusser Damm, in dem unvermittelt eine beängstigende Schlägerei losgehen konnte.

In der Stadt lebte ja auch die Rote Armee Fraktion, und so war Berlin ein hochexplosives Gemisch.

Die Umkesselung durch die Mauer muss gleichzeitig ein Gefühl der Bedrohlichkeit wie der Geborgenheit erzeugt haben und das Verrückte der Situation setzte jede Menge Kreativität frei.

1977 gründeten Sie zusammen mit Salomé, Helmut Middendorf, Bernd Zimmer, Anne Jud und anderen eine Produzentengalerie am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg. Diese Galerie wurde zur Keimzelle einer neuen gegenständlichen Malerei, die emotional und direkt, heftig und sehr farbig war. Sie bekam das Etikett „Wilde Malerei“, die Künstlergemeinschaft hieß bald die „Moritzboys“. Welche Bedeutung hatte diese Gemeinschaft für Sie?
Die Gemeinschaft ist langsam gewachsen und konzentrierte sich nach anfänglich unterschiedlichsten Kunstbeiträgen mehr und mehr auf die Malerei. So erwuchsen aus diesem Kern auch Freundschaften, in denen man sich neben dem Aufbau des Galeriebetriebs zusammen die Nächte um die Ohren schlug. Zunächst im Künstlerlokal Exil am Paul-Lincke-Ufer, danach um 3 Uhr nachts beim Türken in der Adalbertstraße zur Linsensuppe, im SO36 oder im Dschungel. Mit den „Heten“ (heterosexuelle Künstler) auch nochmal vorbeischauen auf ein Bierchen im Puff Die Kogge in der Oranienstraße. Und dann noch der allerletzte Absacker im Kleinen Mohr am Moritzplatz.

Es überschnitten sich unter anderem gemeinsame Vorlieben für Film oder Musik. Bei der gemeinsamen Wellenlinie, die sich von anderen Kunstauffassungen, Künstlertypen, Kunstrichtungen und Lebenseinstellungen der Zeit absetzte, gab es auch untereinander allerdings die unterschiedlichsten Ansätze und dadurch immer auch Konkurrenz. Aber das Zusammenstehen in dieser Zeit mit dem gemeinsamen Projekt dieser Selbsthilfegalerie, in der wir ohne Galeriekontrolle ganz unsere eigenen Sachen entwickeln, zeigen, und gegenseitig beklatschen konnten, war einfach eine tolle und aufregende Zeit gewesen.

1978 gingen Sie mit einem Stipendium des DAAD nach New York. Ihr Studium an der Columbia University haben Sie bald vernachlässigt, wie Sie erzählten, stattdessen tauchten Sie ein in die Stadt, die ganz neue künstlerische Anregungen bot. Für mehr als zehn Jahre, 1983 bis 1994, lebten Sie dann in New York. In der Ausstellung sind eine ganze Reihe Gemälde aus dieser Zeit zu sehen – Stadtbilder wie Men at the Pier oder den berühmten Punk-Club CBGB’s. Ihre Werke vermitteln pure Energie, ein Lebensgefühl von Ungebundenheit und einer Freiheit, die es heute so nicht mehr gibt. Was war New York für Sie, wie haben Sie die Stadt damals erlebt?
Der Anstoß 1978 nach New York zu gehen, war unter anderem meine Begeisterung für die Abstrakten Expressionisten Jackson Pollock, Willem de Kooning und Mark Rothko. Durch die Biographien, die ich gelesen hatte, war die Stadt für mich erst interessant geworden. New York hatte damals mit seinem heruntergekommenen Erscheinungsbild in einer wirtschaftlichen Krise, mit der avantgardistischen Musikszene (CBGB’s, Max’s Kansas City, Mudd Club, Richard Hell and the Voidoids, Police, B-52’s – Pure Hell als Vorgruppe von Sid Vicious filmte ich vor Ort einfach mit meiner Super-8-Kamera für meinen Film Brooklyn 11238) und seiner liberalen Homosexuellenkultur eine Menge mit West-Berlin zu tun.

Jedoch war mein erster Aufenthalt dort auch ein Kulturschock, da die Menschen durch ihre politisch-kulturelle Beschaffenheit, den Verlauf ihrer Geschichte, anders ticken. Alles ist viel schneller. Nicht oberflächlicher, wie man es in Deutschland gerne darstellt, sondern schneller, aber bei allem Chaos immer auf den Punkt. Die New Yorker haben keine Zeit für Behäbigkeit und umständliche, oft wenig zum Ziel führende Diskussionen, wie ich sie aus Deutschland kannte. Zuviel muss in dieser rastlosen Stadt bewältigt werden, damit sie funktioniert.

Ich musste mich also neu orientieren, immer war das Geld zu knapp, und bei allem Zauber, den diese Stadt durch ihre überwältigende Architektur und ihre aufregende Homosexuellenszene an ausgefallenen Orten – wie den alten Lagerhäusern an den Hudson River Piers und allein durch ihre grandiose Lage am Hudson River – verbreiten konnte, wusste man Tag für Tag nicht, wie es weiter gehen sollte, und so war alles Aufregend-Großartige auch immer von einem ewigen Existenzkampf überschattet.

Auch an die englische Sprache musste ich mich erst noch gewöhnen. Durch seinen multikulturellen Charakter mit vielen Ethnien fühlte ich mich als Deutscher trotz mangelnder sprachlicher Eloquenz, wie ich es auch später immer noch empfand, in New York heimisch. Das Leben war gerade durch seine Vielfältigkeit der Ethnien, und die Art und Weise, wie Menschen verschiedenster Herkunft alles unter einen Hut bringen mussten, um etwas Positives daraus zu machen, in jenen Tagen aufregend, herausfordernd und mitreißend. Diese Energien haben sich sicherlich auf mich und dann auf die Bilder übertragen.

Sie erzählen in einem Interview aus dem Jahr 2009, dass Scorseses Film Taxi Driver ein wichtiger Grund für Sie war, nach New York zu gehen. Inwieweit hat dieser Film Ihre Sicht auf New York geprägt? Ich denke spontan an Ihre Taxi-Bilder wie Taxi with steam and green female, aber auch Ihren Film Brooklyn 11238, den Sie in New York gedreht haben. Auch viele Fotos sind in New York entstanden, Sie sagen, Sie haben Ihre Kamera immer dabei. Was hat Sie an New York fasziniert?
Ja, das Kino kam hinzu, besonders die Filme von Martin Scorsese oder auch das Autorenkino von John Cassavetes, die mein Interesse für New York im Besonderen weckten. Meine erste Wohnung in New York für 250,- Dollar im Monat war in der Elizabeth Street in Little Italy, genau dort wo Scorsese’s Mean Streets (Hexenkessel) mit Robert De Niro und Harvey Keitel spielte, damals noch ein Kultfilm für uns Moritzboys und ein Geheimtipp. Eine heruntergekommene Gegend, gleich nebenan die Bowery, auf der die homeless people auf der Straße lagen, so wie man es auch in meinem Film sehen kann. Dagegen war Berlin fast aufgeräumt. Zu den Charakteren von De Niro oder Keitel und durch den neuen Filmstil Scorseses mit einer Handkamera direkt an die Figuren gekettet, hatte man eine direkte Identifikationsmöglichkeit. So ähnlich kannten wir es in West-Berlin aus unserem Existenzkampf und unserem unbehausten Künstlerleben, in dem man nicht wusste, wie es jeden Tag weitergehen sollte, dieses Lebensgefühl war sehr gut in den Filmen ausgedrückt. In meinem Brooklyn-Film spiele ich selbst, basierend auf meinem Leben, einen Amokläufer, angelehnt an Robert De Niros Travis Bickle aus Taxi Driver. Ähnlich Ausdrucksstarkes, wie es diese Filme vermochten, oder die Musik aus den Clubs, wollte ich auch in den Bildern schaffen!

1978 bin ich nach sechs Monaten aus New York geflüchtet, wollte eigentlich nie wieder hin. 1983, in einer Lebens- und Berufskrise in Berlin, bin ich dann wieder in New York gelandet und habe elf Jahre dort leben können. Das alte West-Berlin war irgendwie zu eng geworden und New York versprach einen neuen Anfang ohne die Zwänge, die sich in Berlin eingestellt hatten. Wieder erlebte man in der Zeit in einem unbehüteten New York die Erfahrung des Existenziellen stärker als man es sich zu dem Zeitpunkt in Berlin hätte vorstellen können, und sicher hat meine künstlerische Arbeit davon profitiert.

Die Taxibilder entstanden jedoch erst, nachdem ich in New York zehn Jahre gelebt und gearbeitet hatte. Sie basieren auf dem eines Tages zündenden Gedanken: „Wie kann ich die Thematik des YellowCab mit einer bildhaft abstrakt-schlüssigen Findung einleuchtend umsetzen?“

Die „big city“ ist einerseits durch das Vertikale geprägt. In schlanken Hochformaten ließen sich die Hochhausschluchten bestens darstellen mit den leuchtenden Yellow Cabs unten in den Avenues und im Crosstown Traffic der schmalen Straßen. Jedoch dominiert auch das ausufernd Horizontale, wie wir es von den alten „Straßenkreuzern“ kennen, und so legte ich die Bilder mit den einzelnen Chevrolet-Taxis bildfüllend in großen Querformaten an, aus vertikalen gelben und roten streifenartigen Rücklichtfeldern, wie aus Mark Rothkos Farbfeldern entlehnt.

Die Menschen passen sich wie hier in Taxi with steam and green female als Bewohner des „Big Apple“ an diese Dimensionen an. Die Stadt dampft vor lauter Energie, neben den New York-typischen Dämpfen aus der Kanalisation, auch im übertragenen Sinne.

Viel später entstanden dann nach den etwas düsteren van Gogh in subway- oder candleman in subway-Bildern aus der Mitte der Achtzigerjahre, die mehr meinen damals persönlichen, unbehausten Zustand darstellten, eine neue subway-Serie. Diese bezieht sich in extrem vertikalen Formaten formal auf diese typische Stadtstruktur des rechteckig Vertikalen und Horizontalen, die sowohl im Grundriss von Manhattan, der citymap, als auch in der rohen, industriell anmutenden Stahlkonstruktion (Schienen und Stahlträger) im New York Underground angelegt ist.

1978, als ich zum ersten Mal nach New York kam, und in den frühen Achtzigerjahren, glich das Gefühl der Verlorenheit und Einsamkeit, das einen in der anonymen Stadt überkommen konnte, dem damaligen Erscheinungsbild, so wie es auch in den Filmen Taxi Driver oder Mean Streets (Hexenkessel) und meinem von diesem Kino inspirierten Super-8-Film Brooklyn 11238 dargestellt wird. Viele frühe Arbeiten wie die Bilder mit den aufmontierten Hölzern von den alten zerfallenden Pier-Plattformen am Hudson River und die frühen subway-Bilder entsprechen insofern auch meinem damaligen aufgewühlt verlorenen Seelenzustand.

In New York lernten Sie den Tänzer Desmond Cadogan kennen, der vielen Künstlern Modell gestanden hat, unter anderem Jean-Michel Basquiat, Keith Haring, Robert Mapplethorpe oder Andy Warhol. Seit langem ist er auch Ihr Modell, und Ihre Freundschaft mit Desmond dauert bis heute an, wie Ihre Porträts von ihm aus den letzten Jahren zeigen: Here are the Lemons von 2015 oder das Triptychon Desmond Cadogan high heels von 2016. In der Ausstellung ist den Porträts von Desmond, darunter den bekannten Gemälden aus den 80er Jahren ein ganzer Bereich gewidmet. Und mit Desmond als Modell haben Sie 1986 angefangen, plastisch zu arbeiten, wie die Büste Desmond oder Man in bathtub von 1986 zeigen. Welchen Einfluss hatte Desmond Cadogan auf Ihr Schaffen
Desmond lernte ich erst 1984 kennen, nachdem ich 1983 nach New York gezogen war. Anlässlich eines Model-Fototermins für die deutschen Magazine Wolkenkratzer und Tempo lernte ich ihn kennen, und neben der persönlichen Attraktion galt auch mein künstlerisches Interesse in der Zeit mehr den Afroamerikanern, so wie z.B. 1980 bereits in den Ricky-Bildern.

Dies war eine ideale Kombination, weil Desmond als Tänzer das Physische stark mit einbringen konnte, das für meine Bilder wichtig war. Durch seine Künstler-Bekanntschaften war er bereits mit Kunst vertraut, und da ich selbst kein großer „Socializer“ bin und zu der Zeit auch sehr zurückgezogen lebte, bekam ich durch Desmond, der genau das Gegenteil sein konnte, sehr viel über die Szene mit. Es gab viele Partys anlässlich von Ausstellungen in der Kunstszene, und damals war es sehr angesagt in den verschiedensten hippen Clubs und Discotheken Kunst der berühmten Künstler (z.B. von Warhol, Basquiat, Haring, Clemente, Scharf, Schnabel) zu zeigen, die dort ein- und ausgingen. Hier trafen sich auch die Musiker und Filmleute der Zeit.

Durch Desmond, der dort im Nachtleben arbeitete, hatte ich eine bessere Verbindung in diese aufregende Szene und das Partyleben, das an und für sich nie so mein Ding war. Ich war nun immer eher allein, kaum noch mit Künstlern vernetzt. Die Bewältigung meiner Arbeit, das Überleben und Organisieren beanspruchten allen Einsatz. Ausflüge in die Partyszene konnte ich nur unter Alkohol und Drogen ertragen. Ich liebte im Prinzip mehr meine Streifzüge durch New York, am Hudson River entlang und den Piers. Dinge, die meine Arbeit beflügelten.

Meine ersten Skulpturen entstanden durch die Begegnung mit Jean-Loup Msika, einem gelernten Bildhauer aus Paris, der mich kontaktierte und fragte, ob ich nicht interessiert wäre, meine Bilder in Skulptur umzusetzen. Er bat mir seine handwerklichen Hilfen an. Als ich in meinem gewerblich genutzten Loft an der 23rd Street meine Badewanne ausbauen musste, kam mir die Idee, diese in eine Skulptur zu integrieren: Man in the bathtub wurde daraus. Durch Desmonds eigenen Willen, selbst dargestellt zu werden, trafen sich unsere Interessen auch hier sehr gut, und er stand danach für viele weitere Skulpturen Modell.

Das figürliche Arbeiten an der Skulptur war im Prinzip eine konsequente und logische Verlängerung des zweidimensionalen Arbeitens in der Malerei, und kam zu dem Zeitpunkt genau richtig, da mir Desmond bis heute die Zeit zur Verfügung stellen konnte.

Das bildet die Grundlage dafür, viel später die drei Politiker-Skulpturen als Auftrag annehmen und sie dann frei gestalten zu können. Willy Brandt wurde eine Ganzkörperskulptur (kleines Modell und große Skulptur), Henri Nannen ein kleinerer Kopf, und Helmut Schmidt eine Büste in sieben verschiedenen Werkzuständen. Bei diesen drei frei gestalteten Auftragsporträts soll es auch bleiben.

Da sind Sie sehr entschieden – Sie wollen keine weiteren Auftragsporträts annehmen?
Ungebundenheit ist die Voraussetzung, um gute Ergebnisse zu erzielen. Sie ist jedoch nicht von selbst da, sondern muss ständig erkämpft werden gegen zweifelhafte Vereinnahmung der Gesellschaft.

Ihr internationaler Durchbruch kam 1981 mit der Ausstellung A New Spirit in Painting, die Norman Rosenthal und Christos Joachimides in London kuratierten. Es folgten Einzelausstellungen in der bekannten Londoner Galerie Anthony d’Offay sowie bei Mary Boone in New York oder bei Bruno Bischofberger in Zürich. In Deutschland waren Sie bei der berühmten Ausstellung Zeitgeist 1982 im Berliner Gropiusbau vertreten, die ebenfalls unter der künstlerischen Leitung von Joachimides und Rosenthal stand. Hier wurden Sie mir Ihrer neuen figurativen Malerei damals als Vertreter der „Neuen Wilden“ oder „Wilden Malerei“ bekannt. Wie stehen Sie heute zu dem Begriff „Neue Wilde“?
Der Begriff stiftet Verwirrung, hat sich jedoch medial festgesetzt, was kann man da machen? Unter ihm sollen sich verschiedenste Künstlernaturelle vereinigen, die meines Erachtens jedoch nicht viel miteinander gemeinsam haben, würde man sich einmal die Mühe machen, jeden einzeln näher unter die Lupe zu nehmen.

Seit Ihrer Rückkehr von New York malen Sie auch auf Sylt. In der Ausstellung nehmen die Sylt-Bilder – die Dünen und Seestücke, Menschen am Meer, die Sandbagger oder auch die gewaltigen Tripoden – einen zentralen Raum ein. Was ist Sylt für Sie, was bedeutet das Meer für Ihre Malerei?
In Sylt war ich das erste Mal schon 1973/74 mit Freunden von der Kunsthochschule, und wir haben dort verbotenerweise in dem dichten Dünen-Gestrüpp vom Klappholttal gezeltet. Danach folgten über die Jahre immer wieder Besuche dort, in denen ich meistens Freiluft gemalt oder gezeichnet habe.

Die Insel mit der vielfältigen Natur war für mich auch immer ein Ruhepol und ein Ort zum Auftanken. Sylt war die dichteste Verbindung von Berlin auf eine Nordseeinsel, und später konnte ich es mir leisten, von Berlin-Tempelhof die Miniflieger dorthin zu nehmen. Dann war man in insgesamt einer Stunde da.

Die Insel erinnerte mich stark, mit ihrem ganz eigenen Geruch der Salzluft und dem süßlichen Duft der wilden Heckenrosen und seiner ganz speziellen Landschaft, an die Tage, als wir vom Gymnasium unsere Landschulaufenthalte auf der ostfriesischen Nordseeinsel Wangerooge hatten. Im Landschulheim las unser Deutschlehrer Herr Kannenberg abends Geschichten vom Meer, wie – wenn ich mich richtig erinnere – Die schwarze Galeere von Wilhelm Raabe, Das Feuerschiff von Siegfried Lenz oder Die Klabauterflagge von Hans Leip, dem Autor von Lili Marleen. Meine Bilder Klabauter malte ich nach der nochmaligen Lektüre dieser Abenteuergeschichte, die in einem witzigen Stil im Hamburger Slang geschrieben ist. Beim Erinnern an diese einmalige Zeit im Landschulheim, in den Dünen direkt am Meer gelegen, kommen immer wieder romantische Erinnerungen hoch.

Mein Traum war über die vielen Jahre immer gewesen, dort auf Sylt einmal ein permanentes Atelier zu haben, was 2002 auch geschah, als ich mein Loft in der Greenwich Street/New York abtreten konnte.

Obgleich die Insel im Prinzip etwas Karges hat und an vielen Stellen, besonders im Winter, einer Mondlandschaft gleicht, ist sie durch eine vielfältige Vegetation an der Watt- und offenen Meerseite und durch die einzigartigen Lichtverhältnisse und sich ständig ändernden Meeresstimmungen im flachen sogenannten „hohen Norden“ an Motiven schier unerschöpflich. Irgendwie will man dies wohl versuchen, durch die Malerei zu begreifen und festzuhalten.

Die Insel Sylt war durch die Gewalten der wilden Nordsee, die gefräßig Tag für Tag und besonders bei Sturmfluten an der Dünenseite nagt und erbarmungslos den Sand vom Strand ins Meer zieht, schon immer in Ihrer Existenz bedroht. Legendär die Häuser an den Kliffs, die dabei ins Meer gekippt sind. Alle Maßnahmen, den Sandverlust ins Meer zu stoppen, wie Buhnen oder schließlich die Beton-Tripoden, sind vergeblich geblieben und nur ein Spielball für die wütende See. In Westerland hat man begonnen, vor die alten brüchig gewordenen Backsteinmauern an der Promenade Betonplatten vorzuschrauben und sie gleichzeitig vor dem wachsenden Meeresspiegel und höheren Fluten erhöht. An der gesamten Brandungsseite wird rund um das Jahr Sand an den Strand gespritzt, der aus dem Grund der Nordsee in riesige Baggerschiffe gepumpt und dann dichter vor Land mit Eisenrohren durch die Nordsee geleitet wird.

Wenn ich an gewissen Tagen an einsamen Stränden in die unendlich scheinende Nordsee schaue, dann denke ich manchmal, wie bedeutungslos und klein der Mensch ist, und auch alle wissenschaftlichen Erkenntnisse werden nie vermögen, die Kontrolle über unsere Welt zu bekommen, auch wenn wir das Menschenmögliche tun müssen, um die Zerstörung der Erde durch den Menschen aufzuhalten. Die Schöpfung und das Unbekannte kann man letztlich nicht begreifen und fassen. In all unserem Streben und mit allen unseren Verfehlungen sind wir lediglich ein kleiner Teil vom ganzen Großen.

In dem uralten begrenzten Medium der Malerei kann der Mensch sich möglicherweise selbst wie ein kleiner Schöpfer vorkommen. Da geht es ja auch ständig um Zerstörung und Neufindung, und an den Wänden der Museen der Welt werden wir Zeuge davon, wenn uns großartige Bilder beeindrucken.

Das Interview ist Bestandteil des Kataloges über die aktuelle Sonderausstellung. 

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